Gipsmodell „Elementarform Schädel“
Konzept Gottfried Bammes / Ausführung Wolfram Hesse[1]
um 1970
Anatomische Sammlung HfBK Dresden, Inv. Nr.: AG405M
Der menschliche Schädel ist ein herausragendes Motiv in der Kunstgeschichte. Er wurde wegen seiner Klarheit, aber auch schaurigen Schönheit im Laufe der Jahrhunderte immer wieder aufgegriffen, studiert und künstlerisch wiedergegeben. So würdigten Künstler des Barocks den Schädel als eindrückliches Symbol der menschlichen Sterblichkeit (Memento mori), gleichzeitig aber auch als Symbol sinnenfreudigen Lebens (Carpe diem). Die sowohl dem Dies- als auch dem Jenseits verpflichtete religiöse Bedeutung ging im Zuge der Aufklärung zusehends zurück, bleiben sollte er als Forschungsobjekt im kunstanatomischen Studium. Bis weit ins 20. Jahrhundert wurden Originalschädel an Kunstakademien studiert und gezeichnet. Ihre Herkunft war nicht immer gesichert; oft wurden sie von Medizinern, die neben Künstlern zeitweise die Künstleranatomie an Kunstakademien vermittelten, mitgebracht und in der Sammlung belassen, oder sie waren Ergebnis der bis in die 1940er Jahre hinein oft üblichen Praxis der hauseigenen Präparation von überführten Leichen für den künstlerischen Anatomieunterricht. Nach manchem Erscheinungsbild zu urteilen, kamen vereinzelt auf anonymen Wegen auch Schädel aus geöffneten Gräbern in die Sammlungen. Dies lässt sich heute noch sehr gut an den Beständen der Anatomischen Sammlung der HfBK Dresden ablesen, wo derzeit die menschlichen Überreste nach ihrer Herkunft geprüft, erforscht, unter ethischen Richtlinien behandelt und kustodisch betreut werden. Das bedeutet auch, dass schon seit geraumer Zeit die Schädel nicht mehr gezeigt, im kunstanatomischen Unterricht verwendet und ausgestellt werden.
Der erste, der die Arbeit mit menschlichen Schädeln infrage stellte, war jedoch der Künstleranatom Gottfried Bammes, der zwischen 1955 und 1985 an der HfBK Dresden lehrte. In seiner Verantwortung lag nicht nur die Pflege der historischen Sammlung, sondern auch die Modifizierung bzw. Modernisierung des Faches. Er setzte sich schon zeitig von seinen Vorgängern ab und suchte neben den klassischen Lehrmitteln der Künstleranatomie wie Skelett, Schädel und Muskelmodellen nach didaktischen Alternativen, auch vor dem Hintergrund, dass er den hohen „Präpariereifer“ seiner Vorgänger missbilligte. Die Hauptbegründung lag jedoch in der Mitgestaltung des Faches am sozialistischen Körperbild. Mit lehrbaren, verlässlichen Orientierungsmarken sollte der Abstraktionsprozess erleichtert werden. Bammes widmete sich dieser Aufgabe umfänglich, indem er sich als Künstler für das Fach als geprüfter Anatom weiterbildete und nach einem Pädagogikstudium an der TU Dresden 1955 mit einer Arbeit über „Didaktische Hilfsmittel im Lehrfach Plastische Anatomie“ promovierte. Drei Jahre später legte er die Habilitationsschrift „Die Grundlagen einer Methodik des Lehrfaches Plastische Anatomie“ nach. Hierin ist die Idee des Gipsmodells „Elementarform Schädel“ verortet, wie auch zahlreiche weitere Neukonzeptionen, die Bammes in seiner „Forschungswerkstatt“ zwischen 1953 bis 1958 entwickelt hat. Ein Großteil dieser Modelle ist in der Anatomischen Sammlung der HfBK Dresden erhalten geblieben.
Mit der Aufnahme des Nachlasses dieses bedeutsamen Künstleranatomen in das Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden kann der didaktische Hintergrund, die gedankliche Hinführung und der Einsatz respektive die Wirkung der Modelle in den zahlreich überlieferten Studienarbeiten der Studierenden respektive in der Gemäldesammlung der Kustodie der HfBK Dresden nachvollzogen werden.
Besonders nachhaltig waren seine Visualisierungen im Bereich der Elemetarform bzw. zum architektonischen Formverständnis der menschlichen Figur.[2] Grundsätzlich plädierte Bammes, eben anders als seine Vorgänger, die in der Lehre auf Präparate und detaillierte Muskelmodelle/-abgüsse zurückgriffen, für eine tiefe Auseinandersetzung mit dem Wesen der Erscheinung: „Übersicht, Ordnung und Verständnis läßt sich für den Künstler am ehesten dadurch gewinnen, vom Einzelfall der Erscheinung zu verallgemeinern“. Ist dieser Ansatz schon bei dem Künstleranatomen Siegfried Mollier[3] Anfang des 20. Jahrhunderts erkennbar, entwickelt Bammes einen didaktischen dreidimensionalen Modellkosmos konstruktiver und elementarer Formen für fast alle „Gerüstformen“ des Körpers. Hiermit argumentiert er, dass „die menschlichen Gerüstformen […] an vielen Stellen des Körpers in ihrer vollen Gestalt, d.h. ohne Überlagerung durch Weichteilformen, nicht nur zutage (z.B. Kopf, Wirbelsäule, Ellenbogen-, Hand-, Finger-, Knie- und Zehengelenk) [treten], sondern [sie] haben auch entscheidenden Anteil an der Bildung der Proportionen und an der Abgrenzung von Raumteilen unseres Körpers zu mehr oder weniger konstanten Volumina (Gehirnschädel, Brustkorb, Becken)“( Gottfried Bammes, Habilitationsschrift, Dresden 1958, S. 12).
Das Gipsmodell „Elementarform Schädel“ verbindet erkennbare Schädelkennzeichen mit markanten Weichteilformen unterhalb der Nase. Die Reduktion auf die Hauptformen sind erkennbar an den schematisierten Höhlungen unterhalb des Jochbeins, die den Kieferknochen markant erscheinen lassen. Berücksichtigt sind die Augenhöhlen, dagegen nicht die der Nase, die als Weichteil komplett fehlt. Für diesen Körperteil befindet sich wiederum ein eigenes Gipsmodell in der Sammlung. Die Hauptkonzentration liegt auf der Bugform des Gesichtsschädels und auf der Schädelkapsel. In seiner Habilitationsschrift stellt er diesen Modelltyp noch zweiteilig und wesentlich reduzierter, d.h. ohne markante Höhlungen vor. Inwieweit sein erster Entwurf von 1958 zu sehr in die Abstraktion ging, kann nur vermutet werden, jedoch zeigen nachfolgende Studierendenarbeiten sowie das um 1970 gefertigte Modell „größtmögliche Klarheit der Volumina“ der für den sogenannten Totenschädel so markanten Höhlen. Hier wechselt Bammes von der Elementarform zur konstruktiven Form, bzw. lässt er beide sich durchdringen, in der Forderung, dass über dieses Hilfsmittel der Abstraktionsprozess erleichtert und sich aus der Anregung ein „Ganzes“, hier der Kopf einer Figur bilden wird. Bammes benutzt diesbezüglich den Begriff „baumeisterlich“, d.h. „daß es bei der Arbeit mit der elementaren Form um die Erziehung zu einer bauenden – baumeisterlichen – Tätigkeit geht“ (Bammes 1958, S. 17). Die Figur sollte architektonisch zu einem Formganzen zusammengesetzt werden, beruhend auf materieller und manueller Übersetzungsleistung.
Gottfried Bammes hat diesen Modelltyp als Studien- und Zeichenvorlage für seine Studierenden in Serie vervielfältigen lassen. Des Weiteren fertigten Studierende ähnliche Modelle in einer Übung an; die besten goss er wiederum „in einer bestimmten Auflagenhöhe“ ab und reihte sie in die anatomischen Lehrmittel ein (Bammes 1958, S. 58). Er verwendet sie, um beispielhaft zu zeigen, in welcher Weise die Aufgabe verstanden und gelöst werden soll.
Das Gipsmodell „Elementarform des Schädels“ ist in Verbindung mit Bammes Aufzeichnungen ein erkenntnisreiches Zeugnis für sein anspruchsvolles didaktisches Programm, umso mehr, als dass wir in direkter Nachbarschaft zur Gemäldesammlung der HfBK Dresden, die sich überwiegend aus Studien- und Diplomarbeiten von 1947 bis 1990 zusammensetzt, die Abstraktionsfähigkeiten der Studierenden, die zwischen 1955 und 1985 von ihm unterrichtet wurden, bzw. die Wirkung seines Unterrichts auf die Wiedergabe der menschlichen Figur direkt überprüfen können. Was bedeutet die Auseinandersetzung mit der Elementarform des Schädels, die laut Bammes wie alle Elementarformen des Körpers Bestandteile des Kubischen enthält (Bammes 1958, S. 17), für die Wiedergabe einer Figur respektive eines Kopfes in Malerei? Auffällig ist, so die Autorin, dass Gesichter zum Teil nicht ausformuliert wurden. Auch für die Gesamtfigur fällt eine gewisse Schematisierung auf, indem die Körperbilder oft einer gleichen Statur und gleichen Proportionen entsprechen. Hierzu ist das Forschungsfeld noch groß, weitere Einblicke und Bezüge sollen aber in Kürze folgen.
// Sandra Mühlenberend
[1] Laut dem ehemaligen Anatomiedozenten an der HfBK Dresden, Günther Schreiber, wurde das Erstmodell, welches für die Lehre mehrmals abgegossen wurde, von Wolfram Hesse unter Anleitung Gottfried Bammes modelliert. Der Bildhauer Wolfram Hesse war in der ersten Hälfte der 1970er Jahre Bammes Assistent und fertigte für ihn einige anatomische Konstruktionsmodelle.
[2] Siehe auch Sandra Mühlenberend, Objekt des Monats Februar 2018: Querschnittsmodell vom weiblichen Körper, Gottfried Bammes, 1955 (https://artonomia.de/objekt-des-monats-februar-2018/; letzter Zugriff 22.11.2018).
[3] Vgl. Siegfried Mollier, Plastische Anatomie. Die konstruktive Form des menschlichen Körpers, München 1924.