Eine kritische Untersuchung von Begrifflichkeiten für Kunst in der DDR anhand konkreter Objekte/Fragestellungen aus einzelnen Sammlungen
„Sozialistischer Realismus“ und „Schulbegriff“
Tagungsbericht // von Simone Fugger von dem Rech
Das am 07. Februar 2018 in Dresden gegründete regionale Netzwerk zur Kunst in der DDR hat die vertiefte wissenschaftliche und sammlungsbezogene Auseinandersetzung mit Werken bildender Kunst, die zwischen 1945 und 1990 entstanden sind, zum Ziel. Es setzt sich aus Kunsthistoriker*innen, die entsprechende Sammlungsbestände an unterschiedlichen Einrichtungen betreuen, sowie Restaurator*innen und institutionsunabhängigen Wissenschaftler*innen mit langjähriger Expertise zu diesem Thema zusammen. Das Netzwerk ermöglicht, die einzelnen Institutionen und Personen auf regionaler Ebene zu vernetzen und vielfach vorhandene Schnittstellen und Wechselbeziehungen zwischen den Sammlungen in den Blick zu nehmen. Es bietet ein Forum, sich fachlich auszutauschen, bei Forschungsfragen oder -projekten enger miteinander zu kooperieren und gemeinsame Aktivitäten zu initiieren. Der Workshop zu den Termini „Sozialistischer Realismus“ und „Schulbegriff“ am 14. Dezember 2018 im Aktsaal der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK Dresden), zu dem rund 40 Teilnehmer*innen anwesend waren, war die erste gemeinsame, für ein Fachpublikum geöffnete Veranstaltung des Netzwerks und fand im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes „Körper und Malerei“ an der HfBK Dresden statt.
In ihrer Moderationseinführung zur ersten Sektion „Problematisierung Sozialistischer Realismus“ empfahl Silke Wagler, Leiterin des Kunstfonds der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), besser von „Fragen an den bzw. Fragestellungen zum ‚Sozialistischen Realismus‘“ zu sprechen, um eine offene, nicht allzu negativ konnotierte Diskussion anstoßen zu können. Gleichwohl habe die mit diesem Terminus verknüpfte Methode bereits bei Leo Trotzki sowie bei Zeitgenossen wie Lea Grundig in der Kritik gestanden, in deren Augen das kulturelle Erbe stets höher als eine Propaganda anzusiedeln sei. Folgerichtig dürfe der Begriff nicht als Stilrichtung verwendet werden. Diese Einordnung zog sich durch alle Beiträge der ersten Sektion hindurch.
Johannes Schmidt, Kustos an der Städtischen Galerie Dresden, ging in seinem Vortrag „Ahnen des Sozialismus. Rezeption des kritischen Realismus der 1920er Jahre in der DDR“ der Frage nach, „ob tatsächlich so etwas wie die Konstruktion eines Kanons angestrebt wurde“ und verfolgte „die Spur der Rezeption des kritischen Realismus bzw. der proletarisch-revolutionären Kunst der Weimarer Republik in der DDR“. Ausgehend von der Kunst Otto Griebels stellte er fest, dass in der DDR bestimmte Kunstwerke aus dem Zeitraum 1918-1933 als Beispiele für einen sozialistischen Realismus tituliert worden seien. Die Forderung nach einem Stilbegriff sei aus der UdSSR in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) ‚importiert‘ worden, habe jedoch keine historische Verwurzelung gehabt. So genannte proletarische Kunst sei 1945 zur repräsentativen Grundlage für die Übergänge vom Kapitalismus zum Sozialismus erhoben worden. Die Diskussion ergab, dass sich die Begriffsbildung aus Negationen und Konjunktiven herausgebildet habe. Dem Grunde nach müsse man von einem sozialistisch-realistischen Genre sprechen, das in den 1920er Jahren begänne und bis in die DDR-Zeit reiche.
Dass sogar Auftragswerke baugebundener Kunst vom staatlicherseits postulierten Anspruch einer sozialistischen Kunstausprägung abwichen, stellte Gwendolin Kremer, kuratorische Leiterin der Altana-Galerie der Kustodie der TU Dresden, am Beispiel „Der Supraportenstreit im Kontext der Formalismusdebatte ‒ Die bildkünstlerische Ausstattung des Studentenwohnheims Fritz-Löffler-Straße 16/18 in Dresden“ in der Mitte der 1950er Jahre dar. Die bildkünstlerische Ausgestaltung von Wilhelm Lachnit, Max Lachnit, Hans Jüchser und Rudolf Nehmer (unter Mitarbeit von Studentenkollektiven) vollzog sich vor dem Hintergrund der „Ornament“-Diskussion im Nachgang der „Formalismus“-Debatte. Die Wandbilder zeigen unpolitische Szenen studentischer Freizeitgestaltung. Zeitgenössische Zeitungsartikel, Gutachten, Stellungnahmen und Korrespondenzen überliefern, wie „die Mechanismen der Skandalisierung aus dem Dresdner Vorgang ein kulturpolitisches Exempel statuieren sollten“. Der künstlerische Beitrat der TU, deren Mitglieder aus dem Kulturbereich kamen oder oftmals selbst Künstler*innen waren, bezog sich bei der Vergabe solcher Kunstaufträge nur auf das Werk, nicht auf die politischen Inhalte. Auf dieses Dilemma der damaligen Vergabepraxis wurde in der anschließenden Diskussion besonders eingegangen, insbesondere darauf, dass die konkreten Orte der baugebundenen Kunstwerke bei der Rezeption, Funktion und Ästhetik stets mitgelesen werden müssen.
Wie wenig Spielraum es zwischen eigenen künstlerischen Ambitionen und den ideologischen Vorgaben gab, zeigte Carolin Quermann, Kustodin an der Städtischen Galerie Dresden, am Einzelbeispiel des Künstlers Jürgen Böttcher gen. Strawalde. „Als überzeugter Sozialist und Genosse wollte Jürgen Böttcher in seinen Filmen präzise und respektvoll Menschen in ihrem Alltag und an unveränderten Originalschauplätzen vorstellen. Mit dieser Form eines ungeschönten Realismus stieß er jedoch an Grenzen. Jürgen Böttcher schwankte nach eigener Aussage in der DDR zwischen ‚Parteiausschluss und Nationalpreis‘“. Der von Böttcher mit Laiendarstellern und zufällig gedrehten Szenen angestrebte Realismus im Film, der dem Grundsatz nach eigentlich etwas zutiefst Sozialistisches sei, führte oft zum Aufführungsverbot. Nach der Wende warf man ihm hingegen vor, dass seine Filme opportunistisch an der Staatsdoktrin orientiert gewesen seien. Die sehr ästhetischen Bilder, die ungeschönten Tonaufnahmen und der die Szenen in der Nachbearbeitung rhythmisierende Schnitt machen Böttchers Filme zu Kunstwerken mit unverwechselbarer Handschrift. Die Diskutanten arbeiteten Anlehnungen an den zeitgenössischen Westfilm der Nouvelle Vague und des Neorealismo heraus. Böttcher habe die Grenzen des Möglichen in der DDR der 1960er Jahre ausgetestet. Zudem wurde diskutiert, ob es einen klassischen sozialistisch-realistischen Film gäbe.
Bertram Kaschek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kupferstich-Kabinett der SKD, entwarf in seinem Vortrag „Sozialistischer Realismus in der Fotografie der DDR“ „eine Skizze der normativen Vorgaben für die fotografische Praxis, wie sie von der Zentralen Kommission für Fotografie sowie von prominenten Fototheoretikern der DDR (Friedrich Herneck, Berthold Beiler) formuliert worden sind.“ Im Zuge der Politisierung sämtlicher Lebensbereiche beschwor man auch in der Fotografie eine neue Volkstümlichkeit und strebte ab 1959 die Überwindung einer Trennung von Kunst und Leben an („Bitterfelder Weg“). Besonders Beiler forderte im Rückgriff auf die politische Fotografie der 1920er Jahre eine Parteilichkeit im Foto. Am Beispiel Christian Borcherts fragte Kaschek zugleich nach den „Spielräumen für eigensinnige Alternativen“. In der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde der damalige Versuch einer Quadratur des Kreises evident, der sich auch beim Film (wie zuvor gezeigt wurde) und in anderen künstlerischen Ausdrucksmedien findet: Über das Foto wollte man einen Aufbauoptimismus und zugleich ein Abbild des Realen transportieren. Der sozial-realistische Wahrheitsanspruch, der von Seiten der Funktionäre eher ein ideologisches Lippenbekenntnis war, wurde von künstlerisch ambitionierten Fotograf*innen bis in die 1980er hinein durch ihr Streben nach einer authentischen Darstellung von Wirklichkeit aufrechterhalten. Gerade weil die Fotografie ein ideales Mittel der Agitation war, versuchten Fotokünstler sich vom Journalismus abzugrenzen, indem sie wie etwa Borchert bei seinen Porträtfotografien bewusst Distanz zum Motiv herstellten. Die „Erzwingung eines Schemas“ besonders am Menschenbild sei ein ständiges Konfliktmoment gewesen. Die Fotografie sei besonders beispielhaft dafür, dass der Terminus „Sozialistischer Realismus“ von Beginn an einen Bruch in sich getragen habe.
Die zweite Sektion unter der Moderation von Bertram Kaschek stand im Zeichen des sogenannten Schulbegriffs. Julia Blume, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Theorie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) sowie Leiterin des Archivs der HGB und des Instituts für Buchkunst, stellte heraus, dass der Begriff „Leipziger Schule“ kein Synonym für die HGB sondern vielmehr ein Künstler-Netzwerk gewesen sei. Dessen Akteure hätten großen Einfluss auf Politik, Medien und die Besetzung von Schlüsselpositionen gehabt. Die politische Bildung durch die Kunst sei unter dem 1946 eingesetzten Rektor Kurt Massloff vor allem bis zu Stalins Tod 1953 die alleinige Programmatik der HGB gewesen. Doch habe selbst die systemtreue Lea Grundig 1954 die darin begründeten Defizite der „Leipziger Schule“ als ‚Kaderschmiede‘ benannt. Werner Tübke, Bernhard Heisig, Gerhard Kurt Müller und später Harry Blume und Hans Mayer-Foreyt hatten als junge Künstler und spätere Hauptvertreter der „Leipziger Schule“ zwar verschiedene künstlerische Auffassungen. Sie alle wollten jedoch die neue Gesellschaft mitgestalten und besonders nach dem Ende des Rektorats Massloffs ab 1958 einen einheitlichen neuen Weg beschreiten. Ab 1970, als die ostdeutsche Kunst auch Devisen einbrachte und mehr Aufmerksamkeit im Westen erlangte (z.B. Documenta VI), wurde der Begriff „Leipziger Schule“ ein Synonym für die genannten Akteure einschließlich Willi Sitte. Über die neu gegründete „Galerie an der HGB“ wurden Leihgaben und Verkäufe abgewickelt. Dass die „Leipziger Schule“ eine Strategie oder ein Netzwerk und kein Stilbegriff sei, wurde von den Diskutanten einmütig bekräftigt. Im Unterschied zur Dresdner Malschule habe Leipzig eine ‚eklektische‘ Maltradition resp. zeige einen Stilpluralismus und sei an vielen Vorbildern orientiert gewesen. Die Malerei erhielt erst 1976 durch die Wiedereinführung als eigenes Studienfach einen neuen Stellenwert an der HGB. Für Leipzig signifikant seien die Nähe zur Literatur und eine dadurch begründete stärkere Narration in der Kunst.
Als Pendant untersuchte Kathleen Rosenthal den „Schulbegriff im Spiegel der Diplomarbeiten der HfBK Dresden“. Sie stellte die These vor, dass Rudolf Bergander (Rektorenzeiten 1952/53-1958 und 1964/65), „die Ausbildung in der Tafelmalerei maßgeblich prägte und dabei stilbildend wirkte, so dass von einer „Bergander-Schule“ gesprochen werden kann“. Der Mensch habe nicht nur ideologisch, sondern auch in der akademischen Tradition eines Anatomie- und Naturstudiums im Mittelpunkt gestanden. In der Nachfolge Gotthardt Kuehls und Carl Bantzers führte Bergander „den koloristischen Ansatz der Dresdner Malschule fort, tauschte deren Farbpalette gegen etwas kräftigere Farben aus und kombinierte einen großflächigen Farbauftrag und mit einem kreisförmigen Bildaufbau. Die für die Werke Berganders typischen Charakteristika finden sich auch bei zahlreichen Schüler- und Diplomarbeiten in der Sammlung der HfBK Dresden bis in das Jahr 1970, in dem seine Lehrtätigkeit endete. Unter seinen Studierenden waren Künstler*innen, die später ebenfalls als Lehrer*innen an der HfBK unterrichteten und den malerischen Ansatz weitertrugen, etwa Gerhard Bondzin und Jutta Damme. Die Prägekraft Rudolf Berganders ließ jedoch in der zweiten Hälfte der DDR zunehmend nach“. In der Diskussion ging man vor allem auf die Lehre ein. Den Inhalt einer zum Ideal erhobenen Gesellschaft habe man mittels Komposition und Farbe transportieren wollen (Beispiel: Gemälde „Hausfriedenskomitee“, 1952). Das zur Qualitätswahrung sehr wichtige Grundlagenstudium sei im Gegensatz zum nachfolgenden Fachstudium noch recht frei von ideologischen Inhalten gewesen. Diese hätten vielmehr Eingang in die theoretischen Diplomarbeiten gefunden.
Danach beleuchtete Esther Rapoport, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung und Doktorandin im Forschungsprojekt „Körper und Malerei“ an der HfBK Dresden, „die praktische Lehre der Malerei an der HfBK Dresden in den 1950er Jahren“. Nach der Wiedereröffnung der Staatlichen Kunstakademie 1947 resp. der Neugründung der HfBK 1950 unterrichteten die praxisbezogenen Experten Karl Greiter und Werner Hofmann das Fach Maltechnik im Studium der Tafelmalerei. Das Fach hatte eine zuvorderst naturwissenschaftliche Ausprägung und diskutierte die Traditionslinien des 1925-1930 an der Dresdner Akademie tätigen Maltechnikers Kurt Wehlte und die der in Dresden präsenten Tafelmalerei. Die Gründe für die Abschaffung des Fachs 1957 sind bislang noch unerforscht. Besonders die Restauratoren im Diskussionsplenum unterstrichen die Unverzichtbarkeit einer Schule der Techniken und eines versierten Umgangs mit Materialien für die Ausdrucksfähigkeit in der bildenden Kunst. Die Einführung neuer Bildträger und die eigenhändige Herstellung von Farben in der DDR-Zeit seien als Materialergänzung und nicht allein als Folge eines Materialmangels zu werten. Das Fach Maltechnik sei ideologiefrei gewesen, so dass z.B. auch der NSDAP-Angehörige Greiter 1948 entgegen der gängigen Einstellungspraxis in der SBZ und in der jungen DDR nur aufgrund seiner Fachkenntnis eingestellt worden sei.
Im Anschluss an den Workshop diskutierten die Teilnehmer*innen vor Originalen in der Ausstellung „Ostdeutsche Skulptur und Malerei 1949-1990“ in der Galerie Neue Meister / Albertinum. Mit ihrem Sammlungsquerschnitt ostdeutscher Malerei und Skulptur – nach Ankaufsjahren geordnet – gibt die Ausstellung nicht nur einen Einblick in die Bestände des Museums, sondern auch in die wechselvolle Ankaufspolitik jener Zeit. Marlies Giebe, Leiterin der Restaurierungswerkstatt für Gemälde der SKD, gab unter dem Leitgedanken „Linie, Farbe, Form – Künstlerische Themen über Generationen hinweg“ den inhaltlichen Anstoß zu einem regen Austausch, an dem auch Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums, teilnahm.