Abb. 1 Naturabguss der rechten, unteren Extremität,
Gips, farbig gefasst,
von Franz Josef Steger
entstanden zwischen 1875-1900 in Leipzig
Anatomische Sammlung der HfBK Dresden,
Inv.-Nr. AG137M
Foto: Maria Katharina Franz
Abb. 2 Naturabguss der linken, oberen Extremität,
Gips, farbig gefasst,
von Franz Josef Steger
entstanden zwischen 1875-1900 in Leipzig
Anatomische Sammlung der HfBK Dresden,
Inv.-Nr. AG131M
Foto: Maria Katharina Franz
Mit der steigenden Nachfrage nach medizinischen Lehrmodellen gründeten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts vielerorts Lehrmittelfirmen und-werkstätten, die sich ausschließlich diesem Zweig widmeten. Besonders im Bereich der Anatomie professionalisierten sich Werkstätten mit einem eigens entwickelten und umfangreichen Programm an Körpermodellen in Gips und Pappmaché. Bezüglich Herstellung und Vertrieb orientierten sie sich an den schon weitreichend vorhandenen Gipsformereien, die bis dato neben den Abgüssen von Kunstwerken auch ein kleines Sortiment an Muskelstatuetten, sogenannten Écorchés verkauften und an vorhandenen anatomischen Modellen, die vormals in einem Institut und größtenteils für selbige Sammlung entstanden sind. Einige von ihnen fanden nur im direkten/persönlichen Austausch zwischen Medizinern bzw. Instituten Verbreitung. Beispielhaft sind hier die anatomischen Modelle von Karl Ernst Bock (1809-1874) aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bock, Professor der Anatomie in Leipzig, ließ für seinen Unterricht an der medizinischen Akademie in Leipzig Gipsmodelle zur Anatomie der Organe wie Lunge und Herz fertigen, die er möglicherweise auch während seiner Honorar-Lehrtätigkeit für Anatomie an der Kunstakademie Leipzig einsetzte. Geformt wurden sie vom Bildhauer Franz Josef Steger (F. Steger; 1845-1938), der um 1870 schließlich Bocks anatomische und anthropologische Modelle unter der Signatur „Bock-Steger, Lips“ vertrieb.[1]
Franz Josef Steger brachte somit als Bildhauer und Firmeninhaber für anatomische Lehrmittel Erfahrung und Know-how für Wilhelm His‘ Vorhaben mit, die anatomische Sammlung der medizinischen Akademie Leipzig unter seiner Führung ab 1872 mit detaillierten und präzisen anatomischen Lehrmitteln auszustatten und diese auch umfangreich anderen Instituten anzubieten. Schon bei seiner vormaligen Anstellung in Basel legte His großen Wert auf gutes Unterrichtsmaterial, bei Gruppengrößen von nur zehn bis zwölf Studenten. In Leipzig hingegen musste er über 150 Studenten unterrichten, für die kaum ausreichende und gute Modelle vorlagen. Die Zusammenarbeit His-Steger erwies sich als ungemein fruchtbar und produktiv, bereicherte sie nicht nur die hauseigene Sammlung um viele originäre Modelle, sondern auch andere Institute. Die Modelle wurden fotografiert, zu Katalogen in Postkartengröße zusammengestellt und an Universitäten und Institute für Bestellungen versendet, die aus ganz Europa, selbst aus Australien eintrafen.[2] Die Nachfrage war groß, da sich die herausragende Qualität und Originalität der Modelle hinsichtlich der authentischen Wiedergabe anatomischer Zusammenhänge in Form und Farbe schnell herumgesprochen hatte. Der Erfolg lag an der von His und Steger neu eingeführten Gipsmodelliermethode, die ein Fixieren des Leichnams durch Injektionen (Chromsäure/Alkohol, ab 1880 Formaldehyd) in die Blutbahnen vorsah, um nach Aushärtung des Körpers diesen in Schichten zu präparieren und stufenweise in Gips abzugießen. Hiernach folgte eine leichte Nachbearbeitung und die farbige Bemalung durch Steger in nahezu naturgetreuer Ausführung.[3]
Die Qualität und der didaktische Nutzen der His-Steger-Modelle blieben auch der Kunstakademie Dresden respektive dem damaligen Lehrbeauftragten für Künstleranatomie, ein Mediziner, nicht verborgen. Davon zeugen zwei Muskelmodelle aus der Werkstatt Stegers zur oberen und unteren Extremität, die sich noch heute in der Sammlung befinden. Das erste Modell (Abb. 1) zeigt einen farbig gefassten Abguss eines Präparats von einem kompletten rechten Bein mit Fuß und Beckenansatz. Beginnend beim Gesäßmuskel über den vierköpfigen Oberschenkelmuskel bis zur Unterschenkelmuskulatur mit ausgeprägtem Wadenmuskel zeigt sich gestreckt die obere Muskelschicht. Am Fuß selbst werden die Sehnen und Bänderverbindungen demonstriert. In vollständiger Demonstration der oberflächlichen Muskelschicht des linken Armes und der Hand ist das zweite Modell (Abb. 2) mit innerer Metallarmierung von der Hand an senkrecht aufgesockelt. In ebenfalls naturgetreuer Bemalung zeigen sich hier – von oben nach unten bezeichnet – u.a. Delta-, Bizeps- und Trizepsmuskel übergehend in die Muskelstränge zur Beugung und Streckung der Finger in Darstellung von Sehnen und Bänderverbindungen im Bereich des Handgelenks.
Diese beiden Modelle bereicherten die Sammlung, die sich bis dahin aus Skeletten, Gipsmodellen zur Oberflächen- und Organanatomie, Muskelstatuetten und empfindlichen Wachsmodellen zusammensetzte.
Unter den Wachsmodellen in der Sammlung der Kunstakademie Dresden befanden sich gleichwohl auch Modelle zur oberen und unteren Extremität, nur waren jene stark idealisiert und die jeweilige Extremität in obere und untere Zone nochmals getrennt. Die bemalten Leichenabgüsse Stegers hingegen waren nicht nur wesentlich robuster, sondern ihrer durchgehenden Wiedergabe der oberen und unteren Extremität mit Brust- und Beckenansatz zielgerichteter für die Erklärung muskulärer Zusammenhänge in den für die Künstleranatomie so wichtigen Hauptkörperzonen (Kopf, Rumpf, Arme, Beine). Die ausgesprochene Sachlichkeit der Modelle ging einher mit der einfachen Gipsaufsockelung und der gestreckten Haltung, besonders sichtbar am Armmodell, dass entgegen ähnlicher Modellkonzepte dem Richtungsverlauf des Armes treu bleibt und nicht den Muskelarm in Drehung auf den Schulteransatz stellt. Eine minimale Inszenierung ist am Muskelbein erkennbar, indem die gestreckte Haltung durch Ballenstand vermittelt wird. Der Leichenabguss ist an solch besonderen Details wie den Faltungen von Gewebe an der Kniescheibe und an den Muskeln erkennbar, die entsprechend der fehlenden „Lebensenergie“ des abgegossenen Leichnams und entgegen modelliert „aufgepumpter“ Muskelmodelle flach und „leblos“ wirken. Nichtdestotrotz hat auch Steger den individuellen Leichenabguss durch eine gewisse Glättung der Oberflächenstruktur und Bemalung in eine allgemeingültige, modellhafte Variante überführt. Sie eigneten sich, wie in den medizinischen Ausbildungsstätten, hervorragend zur Demonstration und Studium des Muskel- und Sehnenverlaufes, weniger als Zeichenvorlage für inszenierte Muskelstudien, wie sie beispielsweise mit Hilfe der Wachsmodelle und ab 1900 mit den Muskelmodellen des damals lehrenden Künstleranatomen Hermann Dittrich (1868-1946) möglich waren.[4] In Orientierung an Stegers Modellen modellierte Dittrich für den so wichtigen Unterrichtsstoff der Künstleranatomie „Oberer Muskelaufbau des Menschen“ ebenfalls einen senkrecht auf der Hand stehenden Muskelarm, jedoch mit Hinweisen der Verlebendigung: die Hand als halbgeöffnete Faust und mit „Hautüberzug“, der leicht angewinkelt Arm, die Muskulatur kräftig und in einem tiefen Rot.[5]
// Sandra Mühlenberend
[1] Vgl. Mühlenberend, Sandra: Surrogate der Natur. Die historische Anatomiesammlung der Kunstakademie Dresden, München 2007, S. 150-154.
[2] Vgl. Spanel-Borowski, Katharina: His-Steger-Gipsmodelle, in: Medizinische Fakultät der Universität Leipzig (Hg.), Leipziger Mediziner und ihre Werke, Beucha 2006, S. 26-30.
[3] Beschreibung der Methode ausführlich unter ebd.
[4] Vgl. Mühlenberend 2007, S. 148-150.
[5] Ebd.