Anatomie der linken Gesichtshälfte / Kiefer und Rachenraum,
Wachsmodell auf Grundbrett mit Glashaube
von Carl Friedrich H. Heinemann
entstanden zwischen 1833 und 1846
Anatomische Sammlung der HfBK Dresden, Inv.-Nr. AW151M

Anatomische Körpermodelle aus Wachs, naturgetreu modelliert und eingefärbt, wirken vor allem durch ihre Plastizität. Kaum ein anderes Material kann in seiner Wirkung einen vergleichbaren Eindruck von dargestellten Körperregionen vermitteln. Es kann als amorph und zugleich polymorph beschrieben werden, weil es in seinen physikalischen Eigenschaften uneindeutig, da es leicht verformbar, somit instabil und auch fragil ist. Jedoch gehören zu den ambivalenten Eigenschaften des Wachses auch der Glanz, das opake Erscheinungsbild und seine Farbigkeit – dadurch wird es zum Material der Ähnlichkeit schlechthin, das die Wiedergabe kleinster Details oder die Nachbildung anderer Stoffe ermöglicht. Für die Kunst wurde das Material gerade im 19. Jahrhundert unterschiedlich bewertet, im Gegensatz dazu blieb die Bewunderung der anatomischen Wachsmodelle bis in unsere Zeit nahezu unverändert.

Als einer der großen Modelleure kann Carl Friedrich H. Heinemann (1802-1846), „Inspector am Herzoglichen Anatomischen Museum“ in Braunschweig, angesehen werden. Heute nahezu unbekannt, galten seine Modelle als überaus kunstfertig und genau. Er wagte sich in feinste Körperregionen vor und modellierte diese in einer für den Betrachter verständlichen Weise, indem er in sehr ästhetischer Form die zu zeigenden anatomischen Regionen bzw. Zusammenhänge durch genaues Ausformulieren und Kontraste hervorhob. Weniger begabte Modelleure verzichteten darauf und stellten die Zusammenhänge eher als Block, in Andeutung oder Relief dar. Oft orientierte sich die Umsetzung auch am vorgesehenen Zielpublikum, d.h. sollte das Modell den angehenden Medizinstudenten unterrichten oder ein sensationslustiges Publikum in anatomischen Panoptiken, welche gerade im 19. Jahrhundert sehr populär waren, unterhalten. Heinemann hat nur für anatomische Institute bzw. für die universitäre medizinische Ausbildung gearbeitet. In welchen Größenordnungen kann heute nicht mehr rekonstruiert werden, hierzu sind leider zu wenige Repräsentanten und kaum Schriftquellen erhalten geblieben. Es finden sich Arbeiten von Heinemann in der Universitätssammlung Göttingen, auch die Sammlung der Universität Heidelberg besitzt ein kleines Konvolut. Das größte Konvolut mit 16 Wachsmodellen zur Kopfanatomie befindet sich in der anatomischen Sammlung der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Ihre Aufnahme in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheint zunächst ungewöhnlich, da in den Lehrplänen im Fach Künstleranatomie das Knochen- und Muskelsystem im Mittelpunkt stand.

Nachweislich stammen die Modelle aus der Sammlung der 1864 geschlossenen „Chirurgisch-medicinischen Academie“. Vermutlich wurden sie vom damaligen Mediziner August Friedrich Günther, der von 1843 bis 1871 die Anatomie des Menschen an der Dresdner Kunstakademie unterrichtete, in die Sammlung eingebracht und von ihm in der Lehre verwendet. Günthers Spezialgebiet war die Physiologie, die er parallel als Professor an der medizinischen Akademie unterrichtete. Hier nahmen Studierenden der Kunstakademie Dresden auch an Leichensektionen teil, und an den höchst ästhetischen Wachsmodellen konnten sie das Gesehene schließlich begreifen und gegebenenfalls beschreiben.

Besonders kunstvoll aus dem Gesamtkonvolut „Kopfanatomie“ von Heinemann ist das Wachsmodell, das eine linke Gesichtshälfte mit Ober- und Unterkiefer, Zunge, Nerven, Blutgefäßen, Drüsengewebe sowie Teile der Kau- und Nackenmuskulatur, Ohr, Nasen- und Augenbereiche dargestellt. Das Modell ist auf ein dunkles Grundbrett montiert, wo die historische Inv.-Nr. „1185b“ der „Chirurgisch-medicinischen Academie“ und das bedruckte Herstelleretikett, welches auf Heinemann verweist, sichtbar sind; geschützt wird das Wachsobjekt durch eine Glashaube. Der Wissenstransfer, den Günther nutzen konnte, war gegeben durch die eingebrachten Kontraste und die Farbgebung der in natura schwer erkennbaren Strukturen. Im Modell steht die didaktische Absicht und nicht die bloße Abbildung nach der Natur im Vordergrund – Bestandteile der Leitungsbahnen werden in einer eigens gewählten Farbe abgebildet; sie werden zugunsten des Erkenntnisgewinns abstrahiert bzw. kategorisiert. Die Dreidimensionalität wird gesteigert durch Tiefe und Schatten sowie Schnitte in der Horizontalebene. Und betrachtet man das Objekt mit den zugehörigen Wachsmodellen, die ebenfalls anatomische Kopfpartien zeigen, dann werden die didaktischen Zusammenhänge aller Modelle deutlich: Von Modell zu Modell wird eine Schicht nach der anderen abgetragen – ist am Anfang und wie bei diesem Modell noch die Umgebung wie Ohr, Nase, Lippen erkennbar, schließt sich in der Linie betrachtet im folgenden Modell die detailliertere Schilderung tieferer Strukturen an. Letztlich verschwindet der das Subjekt umgebende körperliche Rahmen vollends. Am vorliegenden Objekt liegt der Fokus im Zentrum, d.h. in der Kreuzung von Arterien und Nerven, eingebettet in ein Muskelsystem und kenntliche Verlaufsrichtungen zu Zähnen, Augen und Ohr.

Sandra Mühlenberend