Gerda Lepke: Landschaft, 1971, Öl auf Leinwand, 100 x 125 cm, HfBK Dresden / Kustodie, Inv.-Nr. A 0457

Gerda Lepke: Landschaft,
1971,
Öl auf Leinwand,
100 x 125 cm,
HfBK Dresden / Kustodie, Inv.-Nr. A 0457

Eine dicht an den vorderen Bildrand gerückte, halbkreisförmige Bodenöffnung gibt den Blick frei auf eine tiefer gelegene Senke, die durch einen gekrümmten dunklen Erd- oder Gebirgswall im oberen Bilddrittel wieder eingegrenzt wird. Die Talsenke in den verschiedenen Braun-, Gelb- und Ockertönen dominiert fast das ganze Bild, dahinter deuten sich weitere Senken in ähnlichen Farbtönen an, die auch den schmalen Himmelsstreifen darüber bestimmen.

Diese Landschaftsformation war 1971 das Ergebnis des Braunkohle-Tagebaus bei Senftenberg in der Lausitz, die zu dokumentieren die Diplomaufgabe von Gerda Lepke war. Wie im gesamten späteren Werk von Gerda Lepke waren es auch hier schon die durch das Licht changierenden Farben der Natur, im vorliegenden Fall insbesondere die verschiedenen Töne der einzelnen Erd- und Gesteinsschichten, die die Künstlerin interessierten und die sie abstrahiert in experimenteller Malweise auf die Leinwand brachte – oft in „plein air“, also in der freien Natur im direkten Gegenüber des Motivs. Damit steht sie in der Tradition der Impressionisten, die sich insbesondere die Wiedergabe des atmosphärischen Spiels von Licht und Schatten mithilfe der Freilichtmalerei zur Aufgabe gemacht hatten.

In der Arbeit von Gerda Lepke sind die Farben zum Teil sehr dünn und lasierend aufgetragen, so dass der Malgrund sichtbar wird; schmale, dunkle Linien durchziehen das Gemälde. Zum Leidwesen des betreuenden Professors Paul Michaelis finden sich in der Darstellung keine Arbeiter, keine Maschinen, keine Stromleitungen oder dergleichen[1] – nichts Erzählerisches stört das Spiel der Farben. Das frühe Gemälde verweist somit auf ihr späteres Werk, in dem sie unbeirrt von ideologischen Diskussionen zum Teil stark abstrahierend Landschaftsausschnitte in dynamischen Pinselstrichen festhielt, die ganz ohne Beiwerk ihre Faszination an Lichtreflexionen in Blättern eines Baumes oder an sich ständig verändernden Wolkenformationen verraten.[2] Bereits während ihres Studiums entzog sich Gerda Lepke jeglicher politischer Bevormundung und verfolgte eigensinnig ihr künstlerisches Anliegen. Das brachte ihr Konflikte ein und sollte beinahe zur Exmatrikulation führen.[3]

 

Gerda Lepke wurde 1939 in Jena geboren, wuchs in Gera auf und ließ sich Ende der 1950er Jahre in Güstrow zur Krankenschwester ausbilden. 1960 zog sie nach Dresden und nahm 1963 parallel zu ihrer Arbeit als OP-Schwester im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt ein Abendstudium an der HfBK Dresden auf. 1966 schaffte sie die Aufnahme an die Kunstakademie und studierte die ersten zwei Jahre Malerei und Grafik bei Gerhard Kettner und Herbert Kunze. Letzterer setzte sich experimentierfreudig mit gegenstandloser Kunst und Collagetechniken auseinander. Er war es auch, der Gerda Lepke die in der DDR von offizieller Seite wenig gelittene westliche Kunst der Nachkriegszeit näherbrachte, während gleichzeitig im Hochschulgebäude Plakate mit Motiven von Picasso, Giacometti und Matisse von der Wand genommen werden mussten.[4] Bei Besuchen der benachbarten Galerie Neue Meister entdeckte die Künstlerin schließlich ihre Nähe zur impressionistischen Sehweise. Entsprechend der für die Dresdner Malschule so typischen Farbgebung ist ihre Farbpalette anfangs – wie in dem Diplombild – eher dunkel und erdig, später wichen diese Farben leuchtenden Blau- und Grüntönen.

Schon zu Studienzeiten erarbeitete sich Gerda Lepke ihre eigene Handschrift und findet die bis heute zentralen Motive für ihr Werk: Landschaften und Figuren bzw. Köpfe. Diese beiden Motivgruppen bestimmten dann auch ihr Diplom: In drei Pastellporträts und drei Lithographien hatte sie das Thema „Frauen in der DDR“ und in einer Ölmalerei eine Industrielandschaft aus dem Raum Cottbus darzustellen. Das Landschaftsbild sollte gleichzeitig als Dokumentation dienen, da die Gegend permanenten Veränderungen unterworfen war; die hier dargestellte Halden- und Abraumlandschaft bei Senftenberg beispielsweise wurde geflutet und in ein Erholungszentrum umgewandelt. Die Diplomaufgabe wurde mit zwei Architekten abgestimmt, die in Cottbus ein Bildungszentrum errichteten und für deren künstlerische Ausgestaltung die HfBK Dresden den Auftrag erhielt. Dieses Vorgehen stellte den Versuch dar, Studierende der verschiedenen Fachrichtungen „Malerei und Grafik“, „Wandmalerei“ und „Plastik“ eine praxisbezogene Ausbildung zukommen zu lassen. Die beiden Architekten waren Gerda Lepke als „gesellschaftliche Partner“ zu Seite gestellt worden und bereiteten sie damit auf das in der DDR für Künstlerinnen und Künstler übliche Prozedere einer staatlichen Auftragsarbeit vor. „Gesellschaftliche Partner“, möglichst ein Arbeiterkollektiv eines Betriebes oder einer gesellschaftlichen bzw. einer staatlichen Einrichtung, dienten dabei als Bindeglied zwischen Arbeitswelt und Künstler. Beide sollten voneinander profitieren: Der am Entstehungsprozess des Werkes teilhabende „gesellschaftliche Partner“ brachte seine Sichtweise in die Arbeit des Künstlers mit ein und gewann gleichzeitig Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess. Im besten Falle entwickelte sich bei dem Partner Verständnis und Wertschätzung für die Arbeit des Künstlers und durch die Aufhängung vor Ort eine Identifikation damit.[5]

Das Gemälde von Gerade Lepke jedoch stieß laut Aussage der Künstlerin bei den gesellschaftlichen Partnern bereits im Entwurfsstadium auf Ablehnung, und sie weiß heute selbst nicht mehr, ob sie das Bild überhaupt beendete oder ob es unfertig blieb.[6] Offenbar erwies sich die Bindung von Studierenden an konkrete Aufträge insgesamt als nicht handhabbar, denn im Anschluss an das Projekt in Cottbus wurde beschlossen, nur noch in der Hochschule beschäftigte Absolventen mit derartigen Aufträgen zu betrauen.[7] Das Gemälde von Gerda Lepke– vollendet oder unvollendet – gelangte nicht nach Cottbus, sondern wurde wie für eine Diplomarbeit üblich in der HfBK Dresden aufbewahrt. Gleichwohl erhielt Gerda Lepke ihren Abschluss und bestritt unabhängig davon ihren Weg als freiberufliche Künstlerin. Doch trotz der akademischen Ausbildung sagt sie von sich: „Eigentlich bin ich ein Leben lang Autodidaktin geblieben.“[8]

 

Kathleen Schröter

 

 

[1] Vgl. die Beurteilung des Diploms von Gerda Lepke von dem betreuenden Professor Paul Michaelis, 16.07.1971, in: Archiv der HfBK Dresden, Personalakte, unpag. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme danke ich Gerda Lepke.

[2] Vgl. Carolin Quermann: Zum Arbeitsprozess von Gerda Lepke, in: hinsehen. Malerei und Zeichnung von Gerda Lepke, hrsg. von Gisbert Porstmann und Carolin Quermann (Ausst.-Kat. Städtische Galerie Dresden, 12.06.-06.09.2009), Bielefeld/Leipzig 2009, S. 24-29.

[3] Vgl. Ulrike Rüdiger / Jutta Penndorf: „Ich bin gebunden an Atmosphäre und abhängig vom Gegenstand“, in: Gerda Lepke, hrsg. von Jutta Penndorf und Ulrike Rüdiger (Ausst.-Kat. Doppelausstellung Lindenau-Museum Altenburg / Kunstsammlungen Gera, 18.04.-20.06.1999), Gera 1999, S. 118.

[4] Ulrike Rüdiger / Jutta Penndorf, a.a.O., S. 120; hinsehen, a.a.O., S. 10.

[5] Vgl. Kathleen Schröter: Bezirksräte und das „gesellschaftliche Auftragswesen“. Zum Hintergrund von Auftragskunst, Oktober 202, in: Kunst in der DDR, URL: https://www.bildatlas-ddr-kunst.de/knowledge/633, Stand: 23.03.2018.

[6] Telefonat der Autorin mit Gerda Lepke am 12.03.2018.

[7] Vgl. Gertrud Thiele: Die Hochschule für Bildende Künste Dresden in der Gegenwart seit 1970, in: Hochschule für Bildende Künste Dresden (Hrsg.): Dresden. Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste [1764-1989]. Die Geschichte einer Institution, Dresden 1990, S. 490.

[8] Hier zitiert nach Ulrike Rüdiger / Jutta Penndorf, a.a.O., S. 126.