„Zuchthengst ‚Djinn‘ “
nach Pierre Jule Mène
Gipsabguss um 1900 (Originalbronze um 1848)
Anatomische Sammlung HfBK Dresden, Inv. Nr.: AG168T
In der Anatomischen Sammlung der HfBK Dresden versteckt sich eine kleine, feine Kollektion von Gipsabgüssen künstlerischer Tierplastiken, die um 1900 über Lehrmittelfirmen in die Sammlung gelangten. Ihr Ankauf ging einher mit der verstärkten Vermittlung eines differenzierten Tierbildes. Wie auch an anderen Kunstakademien hatte sich das Genre gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch in Dresden etabliert und bedurfte in der Vorbereitung anatomischer Grundlagen. Bis dato wurden eher Pferde und vereinzelt Hunde für die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Historien- und Landschaftsbild studiert. Hierzu nutzten die Lehrenden vorzugsweise Vorlagenbücher, die das Pferd passend zur aufgeladenen Historienmalerei in heroischer Haltung bzw. konzentriert statisch stehend für die Übertragung in ein Landschaftsbild als gleichberechtigtes Motiv oder als Staffage im Hintergrund anboten. In beiden Fällen spielte zwar die naturalistische Wiedergabe des Reittiers eine Rolle, jedoch mehr als Emblem – als Standbild oder sich aufbäumend, in Malerei dann letztlich gezügelt durch seinen Reiter.
Die kleinen Gipsmodelle vermitteln hingegen ein anderes Bild; sie zeigen künstlerische Auseinandersetzungen mit der Wesensart von Tieren. Ihre ursprünglichen Schöpfer waren französischen Animaliers, die ab 1830 die Tierplastik autonomisierten. Durch ihre Arbeiten ist die künstlerische Tierdarstellung erstmals in Europa ausdrücklich zur Kenntnis genommen worden. Die Kunst der Animaliers ist eine mehr wissenschaftlich geleitete, weniger gefühlsbetonte Annäherung an die Tierwelt und zeichnet sich durch einen eher „realistischen“ als akademischen Stil in Malerei und Plastik aus. Den Vertretern dieser Schule reichte es nicht, beim naturalistischen Modellieren stehenzubleiben. Sie versuchten vielmehr, die Wesenseigenschaften ihrer Objekte freizulegen, indem sie Erkenntnisse der vergleichenden Anatomie und zu Verhaltensmerkmalen anwendeten. Durch diesen Zugang wurden Tiere als eigenständige, natürliche Wesen, als wilde, freie Naturen anerkannt, und wie von einem objektiven Standpunkt aus belauscht und beobachtet dargestellt. In der Wahl der Tierarten sind thematische Präferenzen zu erkennen: Haustiere, Nutztiere, Sporttiere sowie Jagd- und Wildtiere.
Vom Kunstmarkt längst anerkannt, gelangten einige Bronzeabgüsse ab etwa 1870 in florierende Abgussanstalten bzw. Gipsformereien, wo sie vervielfältigt und zum Verkauf angeboten wurden. Von da aus war der Weg in die Kunstakademien nicht weit. Etwas zeitversetzt nahm man dort Ansätze der Animaliers in das Unterrichtsprogramm auf, in Dresden speziell um 1900. Fortan studierten die angehenden Künstler nicht mehr nur die einseitigen Vorlagen, sondern begannen, das Tier im zoologischen Garten und im veterinärmedizinischen Institut zu untersuchen. Die künstlerischen Arbeiten der Animaliers hatten sie stets vor Augen: beispielsweise mit dem „Schreitenden Tiger“ von Antoine-Louis Baryes (ursprüngliche Bronzeplastik um 1840; Gipsabguss HfBK Dresden AG175T) oder dem „Bullen“ von Pierre Jule Mène (ursprüngliche Bronzeplastik um 1840; Gipsabguss HfBK Dresden AG170T).
Beide Künstler gehörten mit zu den Hauptvertretern der Animaliers, die neben der Beobachtung verschiedener Tierarten auch das Pferd thematisierten. Besonders Pierre Jule Mène (1810-1879) spezialisierte sich weitgehend auf Nutz- und Sporttiere, vor allem auf die Jagd und daraus folgend, für Pferderennen. Eine seiner berühmtesten Pferdebronzen ist die des „Zuchthengst ‚Djinn‘“, erstmals 1849 in Paris ausgestellt und mehrfach für den Markt vervielfältigt bzw. von Gipsformereien in den Umlauf gebracht.
Bei dem Gipsmodell in der Anatomischen Sammlung der HFBK Dresden handelt es sich um eine reduzierte Form, fehlt ihr doch der angedeutete Koppelzaun des Originals. Trotz minderer Qualität des Abgusses wird die so genannte „Beschälerkondition“ deutlich. Mène zeigt den Zucht-/Deckhengst „Djinn“ im Moment vor der Begattung einer Stute: in erregter Haltung, erkennbar am nach vorne gestrecktem Kopf mit aufgeblähten Nüstern, am gestellten Schweif und mit den an den Beinen und am Unterbauch stark hervortretenden Adern.
Ob sich die Bewunderung der Zeitgenossen Mènes für das Modell ähnlich auch bei den Studierenden der Dresdner Kunstakademie eingestellt hat, kann nicht rekonstruiert werden. Aus heutiger Sicht scheint dies kaum vorstellbar, landeten doch um 1900 gleichfalls mindere Abgüsse bzw. Nachformungen/Abwandlungen vom „Zughengst ‚Djinn‘“ oder Baryes „Schreitendem Tiger“ als Dekoration zuhauf auf bürgerlichen Kaminen, Vertikos und Schreibtischen. Sie waren längst korrumpiert, wie die röhrenden Hirsche von Mène (Originalbronze von 1863) oder von Adolf Rosenthal (1838-1866), einem unbekannteren deutschen Animalier.
// Sandra Mühlenberend