Christine Schlegel „Selbstbildnis“

Christine Schlegel
„Selbstbildnis“
Studienarbeit 4. Studienjahr, 1976
Öl auf Pappe, 54,5 x 38 cm
Kustodie der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Inv.-Nr. A 0742

Vor grüngrauem Hintergrund, der aus groben Pinselstrichen besteht, hat sich Christine Schlegel als sogenanntes Bruststück im Viertelprofil dargestellt. Sie ragt schmal, in hellblauem Pullover mit dunklem Kragen ins Bild. Im Gegensatz zu Hintergrund und Kleidung ist das Gesicht feiner und etwas flächiger, mit trockenerem Pinsel modelliert. Es wird von den dunklen Tönen der Haare und des Kragens umfangen. Die Haare sind mittig gescheitelt und im Nacken zusammengebunden. Ein Auge richtet sich forschend dem eigenen Selbst im Spiegel und damit den Betrachter*innen entgegen, das andere entgleitet leicht, sein Blick erscheint fordernder.

Das Selbstbildnis steht zwischen Selbstbehauptung und Rückzug. Es entstand nach Aussagen der Künstlerin als Reaktion auf den aus politischen Gründen gewaltsam abgebrochenen Fasching 1976.[1]

Darstellungen der menschlichen Figur und des Gesichts gehören seit jeher zu den zentralen Motiven künstlerischer Äußerungen. Die Ursprünge dieser Bildnisse oder Porträts reichen bis in die Antike zurück. Innerhalb des Genres nimmt das Selbstbildnis eine besondere Position ein. Hier verbinden sich Reflexionen über die Identität mit der Selbstvergewisserung als Künstler*in.

In der Gemäldesammlung der HfBK Dresden finden sich zahlreiche Porträts. Es sind vorwiegend Studienarbeiten. Als Diplomthemen sind Porträts mit ihrer Reduktion auf wenige Bildelemente seltener. Um das künstlerische Können sowie den geforderten Klassenstandpunkt der Diplomand*innen unter Beweis zu stellen, erschienen mehrfigurige Tafelbilder mit ihrem erzählerischen Potential, den komplexen Kompositionen wie den Möglichkeiten, Bildfiguren in unterschiedlichen Posen und Bewegungen darzustellen, geeigneter.

Der größte Teil der in der Sammlung aufbewahrten Porträts entstand zwischen 1950 und 1990. Die Werke aus den 1950/60er Jahren präsentieren die Dargestellten vor allem als Tätige. Sie werden in ihrem beruflichen Umfeld gezeigt und mit jenen Gegenständen und Attributen ausgestattet, die dem bevorzugten narrativen Rahmen sozialistischer Prägung entsprechen. Hier erscheint der sozialistische Realismus im Gewand historischer Standesporträts.

Die meisten Porträts entstehen nach lebenden Modellen; häufig porträtieren sich die Studierenden gegenseitig oder es entstehen Bilder von Verwandten, Freunden, den Großeltern oder professionellen Modellen. Die Verwendung von Fotografien war zu dieser Zeit wohl eher die Ausnahme und wurde innerhalb der Lehre nicht gefördert.

In den folgenden Jahrzehnten verändern sich Motivik und Darstellung. Das Private rückt in den Vordergrund. Die Kompositionen werden konzentrierter. Die Figuren erscheinen vor nahezu monochromen Hintergründen. Manche der Porträts verlieren sich fast in den Farbflächen. Dunkle Farben und Grau dominieren. Pinselführung und Binnenstrukturen geraten zu abstrakten Formulierungen.

Zu diesen Arbeiten gehört das 1976 entstandene „Selbstbildnis“ von Christine Schlegel. Die Künstlerin, 1950 in Crossen geboren, hatte nach dem Abendstudium im Jahr 1973 mit dem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden begonnen. Bis auf das Grundstudium bei Herbert Oswald Kunze, der Farbenlehre unterrichtete, und Wolfram Hesse, der bildhauerische Grundlagen vermittelte, bot die Lehre an der Akademie für sie wenig Anregung. Wichtiger wurden die Auseinandersetzungen mit der älteren Generation Dresdner Künstler wie Theodor Rosenhauer, Hans Jüchser und Curt Querner. Eine wesentliche Rolle spielte der unmittelbare Austausch mit den Dresdner Künstlerkollegen Peter Herrmann, Peter Graf, A.R. Penck und der Blick nach Berlin. Hier arbeiteten die Maler Hans Vent, Wolfgang Leber und Dieter Goltzsche. Ein Studium neben dem Studium unter Gleichgesinnten. Auf die Korrekturen von ihrer Professorin Jutta Damme verzichtete Christine Schlegel gerne. Sie hatte sie erfolgreich aus dem Atelier verbannt. Damme sollte es erst wieder zum Diplom betreten. Das war 1978.

// Susanne Greinke

 

[1] Die Faschingsfeste an der Dresdner Kunsthochschule waren legendär. Nach dem Krieg knüpfte man an die Tradition der Gauklerfeste an. Zwischen 1950 und 1989 wurde, mit einigen Unterbrechungen, jährlich gefeiert. Drei Tage währte der Ausnahmezustand. In die Vorbereitungen waren sowohl Lehrende als auch Studierende intensiv eingebunden. Im November des Vorjahres bildete sich ein studentischer Elferrat, der die gesamte Organisation übernahm. Einige der Ausstattungen und Aktionen hatten den Charakter eines Gesamtkunstwerkes. In den 1980er Jahren wurden die Feste zur Plattform für Performances und Installationen.