Akte: „Personal – allgemein“, 1951 – 1959
Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Bestand „Altinventar“, Signatur 05/Ka 10
Als Fritz Dähn die Beurteilung über seinen Amtsvorgänger Mart Stam als Rektor der Vorgängereinrichtungen der Hochschule für Bildende Künste Dresden abgab, war dieser bereits als Rektor an die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee gewechselt. Seine Amtszeit in Dresden 1948 bis 1950 war kurz. Dennoch legte er entscheidende Weichen für den Lehrbetrieb, die sogar der SED-Parteiangehörige Dähn in seinen ganz im Sinne der sozialistischen Idee gesteuerten Ausführungen durchaus anklingen lässt. Das eineinhalb Seiten umfassende Dokument ist ein maschinenschriftlicher Durchschlag und befindet sich in einer äußerlich recht unscheinbaren, mit einem Baumwollfaden gebundenen Akte ohne Umschlag, die aus der aktenführenden Stelle „Kader“ stammt und durch einen alphabetischen Register geordnete Durchschriften zu Personalbelangen von Lehrenden aus der Zeit 1951 bis 1959 sowie eine Urlaubsliste von 1957 enthält. Hier finden sich – so auch im Falle von Stam – Informationen, die nicht in den Personalakten der Dozenten enthalten sind. Zu welchem Zweck die oben links mit dem Kürzel Dähns und der Sekretärin versehene Beurteilung verfasst wurde, ist nicht mehr feststellbar.
Der am 5. August 1899 in Purmerend (Niederlanden) geborene Stam siedelte 1922 nach Berlin über und trat alsbald in Kontakt mit den bedeutenden Vertretern der künstlerischen Avantgarde wie Mies van der Rohe und El Lissitzky. Er arbeitete u.a. an der Stuttgarter Weißenhofsiedlung mit und hatte 1928/29 eine Gastdozentur am Bauhaus in Dessau. Bis heute verbindet man seinen Namen mit dem von ihm entworfenen Freischwinger-Stuhl von 1926. Aufgrund seiner reformorientierten Ausrichtung wurde er am 1. Juli 1948 an die 1947 als Staatliche Hochschule für Werkkunst neu gegründete ehemalige Kunstgewerbeakademie in Dresden als Lehrkraft für Architektur und als Rektor berufen. Am 15. Dezember 1948 wurde er vom Ministerium für Volksbildung auch als Rektor der Staatlichen Akademie der bildenden Künste eingesetzt. In dieser Doppelfunktion gelang es ihm nach den Kriegszerstörungen einen regulären Lehrbetrieb in den beiden Gebäuden in der Güntzstraße und an der Brühlschen Terrasse zu installieren. So muss auch Dähn in seiner Beurteilung feststellen, dass es sein Verdienst sei „baulich und schulisch die guten Voraussetzungen für die heutige Arbeit geschaffen zu haben […]“, schränkt jedoch zugleich ein, dass „die speziell fachliche Seite […] bei ihm so spezifisch reformistisch bauhausartig [war], dass sie selbstverständlich von uns heute nicht mehr als tragbar angesehen werden kann.“ In der Tat setzte Stam eine Reihe von Neueinstellungen bei der Landesregierung Sachsen durch, so u.a. von Heinz Lohmar, Rudolf Bergander und Hans Christoph (Malerei), Werner Hofmann (Wandmaltechnik), Fritz Koelle (Plastik) und Marianne Brandt (Industrielle Formgestaltung). Eine Berufung von John Heartfield als Leiter der Abteilung Grafik kam leider nicht zustande. Seine Einstellungspraxis polarisierte, weil den an modernen Vorkriegsströmungen orientierten Lehrkräften diejenigen gegenüberstanden, die ihre Kunst ganz in den Dienst der am 7. Oktober 1949 gegründeten sozialistischen DDR stellten, so auch Lea Grundig, die 1949 als Professorin für Grafik an die Kunstakademie kam. Dähn konstatiert, dass Stam sich mit seiner „[…] spezifisch geistigen und modernistischen Haltung einmal in Widerspruch zu unseren demokratischen Neuaufbau gebracht und […] mit dem Teil der Dozentenschaft in Konflikt geraten [war], der unter anderen künstlerischen Perspektiven sich an die Lösung unserer heutigen Aufgaben herangearbeitet hat“. Wie diese „Perspektiven“ aussahen, lehrt uns die Kunstgeschichte unter dem Begriff „Formalismusdebatte“. Die Kunst – und damit auch die Lehre der Kunst – hatte sich ganz in den Dienst des Staates zu stellen, eine Ausrichtung, die für die Folgejahre der am 7. Juni 1950 zur Hochschule für Bildende Künste zusammengeschlossenen Lehreinrichtungen bindend blieb. Resigniert gab Stam auf und verließ 1952 endgültig die DDR, um als selbstständiger Architekt in den Niederlanden und in der Schweiz zu arbeiten. Er starb am 23. Februar 1986 in Goldach (Schweiz).
Simone Fugger von dem Rech