„Resolution der Hochschule für Bildende Künste Dresden“ vom 10. Oktober 1989 zu den politischen Verhältnissen in der DDR, Rektor Prof. Johannes Heisig

„Resolution der Hochschule für Bildende Künste Dresden“ vom 10. Oktober 1989 zu den politischen Verhältnissen in der DDR, Rektor Prof. Johannes Heisig

Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Bestand „HfBK 1945-1993“, Signatur 03/1584

 

Die persönliche Unterschrift ist unverwechselbar und einzigartig – so wie der Mensch selbst, von dem sie stammt. Ein Schriftzug sagt viel über die Eigenschaften des Unterschreibenden aus. Das Schriftbild kann mitunter sogar Hinweise auf die Verfasstheit zum Zeitpunkt der Unterschrift geben. Eine Unterschrift wird in der Regel freiwillig und bei vollem Verstand geleistet. Erst dadurch erhalten die unterschriebenen Schriftstücke ihre volle Rechtsgültigkeit. Aufgrund dieser Kriterien rufen handschriftliche oder handschriftlich unterzeichnete Dokumente in Archiven zu Recht stets ein sehr großes Interesse hervor. Urkunden, Verträge oder Diplome fixieren in der Regel wichtige Entscheidungen oder Ereignisse in der Geschichte der Institution, die das Archiv unterhält oder der Institution, die ihre Unterlagen an das zuständige Archiv abgegeben hat.

Auch das Archiv der Hochschule für Bildende Künste Dresden verwahrt derartige Dokumente. Die „Resolution der Hochschule für Bildende Künste Dresden“ vom 10. Oktober 1989 zu den politischen Verhältnissen in der DDR hebt sich aus dieser Archivaliengruppe jedoch besonders ab. Hintergrund sind die seit dem Spätsommer desgleichen Jahres beginnenden politischen Ereignisse in der DDR, die am 9. November zur Grenzöffnung, zum Mauerfall und am 3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten führten. Schon die Überschrift zeigt die Tragweite des Schriftsatzes an. Eine Resolution ist per definitionem eine in der Politik und von einer Interessenvertretung (meist) schriftliche, auf einem Beschluss beruhende Erklärung, in der bestimmte Forderungen erhoben werden. Sie waren in der DDR sehr verbreitet. Es war üblich, dass Kollektive, so auch das der Hochschule, staatlich ‚verordnete‘ Resolutionen zu politischen Verhältnissen verfassten, so etwa 1950 gegen den Krieg in Korea oder 1973 gegen den Militärputsch in Chile.[1] Die Resolution vom 10. Oktober 1989, dessen Wortlaut auf Rektor Johannes Heisig zurückzuführen sein dürfte, ist hingegen ein unmittelbarer, hochschulinterner Reflex auf die jüngsten Ereignisse im Lande und somit ein Novum. Der Text steht auf einem einzigen DIN A 4 Blatt in eng maschinenschriftlich verfassten Zeilen. Allein die äußere Form in Flattersatz und ohne Absätze deutet darauf hin, dass der Inhalt in einem recht kurzen Zeitraum und in einem Zug ohne Unterbrechung abgefasst wurde. Die Sätze sind prägnant und sicher formuliert. Besorgnis und Betroffenheit über die Situation, die dazu führe, dass vor allem junge Menschen der Gesellschaft „den Rücken kehren“, bilden den Auftakt des Textes. Hier zeigt sich, dass die Hochschule als Ausbildungsstätte vor allem diese Personengruppe im Blick hatte. Der Umbau in eine „moderne sozialistische Gesellschaft“, keine Demokratisierung nach westdeutschem Vorbild, ist die Kernforderung. Die Staatsform als solche wird nicht in Frage gestellt. Erwartet wird indes eine gesellschaftliche Erneuerung durch die Regierungsorgane und –gremien, die die Bürgerinnen und Bürger als gleichberechtigte Partner für einen notwendigen Dialog anerkennen sollten. „Wir wollen einen Sozialismus, der in das Europa und die Welt von heute paßt […]“. Man sei an die Grenzen unproduktiver politischer Zustände gestoßen, die die Entfaltung, Kreativität und gesellschaftliche Wirksamkeit hemme. Zugleich distanzieren sich die Unterzeichner – Künstler, Studenten, Wissenschaftler und Angestellte der Hochschule – von jeglicher Gewaltanwendung als Mittel der Unterdrückung eines gewaltlosen Protestes und gehen damit wohl unmittelbar auf die Übergriffe der Staatsgewalt gegen Demonstranten beim Protest am 8. Oktober 1989 in Dresden ein. Bemerkenswert ist, dass eine Rechtssicherheit für die „gestaltende Kraft des Individuums“ notwendig sei. Das Individuum, also jeder Einzelne, wird hier in den Kontext einer zu erneuernden sozialistischen Gesellschaft nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gestellt und nicht als Gegensatz gesehen. Dazu gehört auch die Forderung nach Pressefreiheit. Die Tatkraft und die Verbindlichkeit, mit der Dialog und Reformen durch konzeptionelle Arbeit realisiert werden sollen, stehen am Textende: „An unserer Hochschule werden wir sofort damit anfangen.“ „Wir“ – das sind alle an der Hochschule tätigen Personen, deren Vertreter die Resolution unterzeichneten: der Rektor, die Studentenschaft, Lehrkräfte, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Angestellte, aber auch Vertreter der Partei- und Gewerkschaftsorganisation. Eine siebenseitige Liste mit weiteren Unterschriften aus allen Fachbereichen zur Resolution befindet sich an anderer Stelle im Archiv.[2] Um der Forderung Nachdruck zu verleihen und zu zeigen, dass die Hochschule die Missstände im Sinne der freien Meinungsäußerung aufzeigt und sofort mit der gesellschaftlichen Umgestaltung am eigenen Haus beginnt, übersandte Johannes Heisig die Resolution nur drei Tage später an den Ministerrat der DDR / das Ministerium für Kultur (H. König), an die SED-Bezirksleitung Dresden (Hans Modrow) und an den FDGB-Bundesvorstand (Harry Tisch) sowie an andere künstlerische Hochschulen der DDR.[3]

In nur einer Textseite vermittelt die Resolution der Hochschule für Bildende Künste Dresden vom 10. Oktober 1989 demnach nicht nur die Wahrnehmung der politischen Situation, sondern die gesamte atmosphärische Geisteshaltung jener Tage an einer der renommiertesten Kunsthochschulen der DDR. Sie gehört damit zweifelsohne zu einer der herausragenden Zeugnisse der Wendezeit.

Simone Fugger von dem Rech

 

[1]    Archiv der HfBK Dresden, Sign. 03/15 u. 03/16.

[2]    Ebd., Sign. 05/1.Pror.105

[3]    Anschreiben von Rektor Prof. Heisig zur Resolution vom 13. Oktober 1989; Palucca-Schule Dresden, Hochschule für Musik Dresden, Hochschule für angewandte Kunst Heiligendamm, Fachschule für angewandte Kunst Schneeberg, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle-Giebichenstein, s. ebd.