Günther Hornig,
Nationales Aufbauwerk
1962
Öl auf Leinwand, 160 x 182 cm,
Inv. A 0160
Zwei junge Männer stehen links und rechts neben einer Schubkarre, der eine auf seine Schaufel gestützt, der andere auf die Karre und im Begriff, etwas aus ihr heraus zu nehmen. Hinter ihnen passiert ein weiterer Mann, einen länglichen Gegenstand geschultert und die Hand wie zum Gruß an die Schirmmütze gelegt. Zusammen bilden sie eine kreisförmige Komposition, die eine enge Verbundenheit der Personen untereinander ausstrahlt. Etwas abseits im Hintergrund sind zudem eine Bauhütte und ein vierter Mann mit einem größeren Gegenstand in den Händen erkennbar. In warme Erdtöne getaucht, vermitteln die Farben und die Anordnung der aufeinander bezogenen Personen eine freundliche Atmosphäre. Das großformatige Bild zeigt eine Momentaufnahme von Arbeitern auf einer Baustelle. Ihre uneinheitliche und untypische Kleidung verrät jedoch, dass es sich hier nicht um professionelle Bauarbeiter handelt.
Der Titel des Gemäldes „Nationales Aufbauwerk“ verweist auf die freiwilligen Helfer, die im Rahmen dieser in den 1950er Jahren von der SED initiierten Masseninitiative Trümmer beseitigten und Bauvorhaben realisierten. Mit jenem Programm wurde nicht nur die Stalinallee in Ost-Berlin (heute Karl-Marx-Allee), sondern nach und nach zahlreiche, für die gemeinschaftliche Nutzung bestimmte Gebäude wie Sportstadien, Klubhäuser und Schulen im gesamten Gebiet der DDR errichtet. Damit reiht sich das Gemälde ein in zahlreiche Kunstwerke, die die Aufbauleistungen der 1950er Jahre in der DDR thematisieren. Verstanden als Ausdruck des gemeinschaftlichen und mit Überzeugung getragenen Aufbau des Sozialismus entsprach dieses Motiv der politischen Linie der Kulturfunktionäre, in dessen Verständnis Kunstwerke auch eine erzieherische Funktion im Sinne einer positiven Vorbildwirkung haben sollten.
1962, dem Entstehungsjahr des Gemäldes, war eine gesellschaftspolitische Aussage möglicherweise für den Abschluss eines Kunststudiums an der Hochschule für bildende Künste Dresden notwendig oder zumindest hilfreich: Es handelt sich bei dem Gemälde um die bei Professor Paul Michaelis angefertigte Diplomarbeit von Günter Hornig. Jenseits vom zeithistorischen Thema zeigt der Diplomand hier auch seine Beherrschung der menschlichen Figur in verschiedenen Posen, geschult durch viele Körper- und Ausdrucksstudien in der akademische Ausbildung. Nicht umsonst galt in der Geschichte der Kunst lange ein vielfiguriges Historienbild als die höchste Disziplin unter den verschiedenen Genres in der Malerei. Zudem zeigt sich in Hornigs Diplomarbeit bereits seine für ihn typische Experimentierfreude: Anfangs mischte er Ölfarbe mit Tempera und trug sie sehr trocken auf, um schließlich lasierend zu arbeiten. Hornig selbst sagte dazu in einem Interview mit Volker Sielaff in der DNN vom 21. August 2014: „Ich hatte mein Diplombild in Prima-Malerei gemalt. Eine Baubrigade mit drei Figuren, die Steine karrten. Das Motiv traf auf helle Begeisterung. Aber dann habe ich das Bild mit einer Lasur übermalt. Also in Fett gesättigt. Damit waren alle Schönheiten weg. Die pastosen Stellen waren verschwunden, aber für mich bedeutete das Einsicht, dass Malerei etwas mit Materie zu tun hat!“
Hornigs restliches Werk trägt eine deutlich andere Handschrift und Motivik. Weitere in der Sammlung der HfBK Dresden vorhandene Werke aus seiner Studienzeit von 1957–1962 zeigen vorwiegend Bildnisse junger Männer, darunter auch ein eindrucksvolles Selbstporträt. Die Arbeiten des vor dem Studium als Theatermaler und Bühnenbildassistent tätigen Künstlers wurden dann zunehmend abstrakt, teils von einer informellen, teils von einer konstruktivistischen Formensprache getragen. Aus verschiedenen Materialien schuf er Collagen, Materialbilder und häufig aus Gitterstrukturen bestehende Objekte. Die erdigen Töne wichen im Laufe der Jahrzehnte leuchtenden Farben. Seine Farb- und Gestaltexperimente wirkten überaus bereichernd auf zahlreiche Studierende, die er ab 1968 an der HfBK Dresden im Grundlagenstudium der Fachrichtung Bühnenbild unterrichtete, darunter die Gruppe der „Autoperforationsartisten“. 1993 erhielt er eine Professur für Malerei und Grafik, die er bis 2002 wahrnahm; so bekannte Künstler wie Thomas Scheibitz oder Frank Nitsche gehörten zu seinen Schülern. 2016 starb der 1937 in Bitterfeld geborene Künstler im Alter von 79 Jahren. Gegenwärtig richtet die Städtische Galerie Dresden zum 80. Geburtstag eine Retrospektive mit wichtigen Werkgruppen aus.
Kathleen Schröter